Engelschwarm im Internet
January 3rd, 2007
Deprecated: preg_replace(): The /e modifier is deprecated, use preg_replace_callback instead in /www/htdocs/w00748bc/wp-includes/formatting.php on line 82
Der seit Eeeeeeeeeeeeewigkeiten angekündigte längere Text über “A Swarm of Angels” ist fertig. Es hat so lange gedauert, weil ich mir in der Weihnachtszeit eine so gewaltige Plautze angefressen habe, dass ich mit den Händen nicht mehr an die Tastatur gekommen bin. Eine gekürzte Version (die freie-Software-Schiene ist rausgeflogen) findet sich bei bei zuender.zeit.de Viel Spaß beim Lesen:
Matt Hanson verbringt einen Großteil seines Tages in digitalen Welten, vor seinem schneeweißen Mac. Seine Freundin nennt ihn manchmal einen Internet-Junkie. Die zweite Leidenschaft des Briten ist der Film, er arbeitet als Regisseur. Es gab in den letzten Jahren ein paar wichtige Momente, als sich mit dem Öffnen des Browserfenster faszinierende Webseiten und Ideen auftaten, die ihm keine Ruhe mehr ließen. Hanson begann, Konzepte zu entwickeln, die seine beiden Interessen vereinen sollten. Das Ergebnis seiner Überlegungen trägt den Namen „A Swarm of Angels“ (ASOA) und ist ein eine Million Pfund Filmprojekt. Fremden stellt Hanson sich nicht mehr als Regisseur vor, sondern – mit einem kleinen, verlegenen Lächeln – als Film-Futurist.
Cinema 2.0
ASOA soll ein Thriller mit Science-Fiction-Elementen werden, Hanson will digital drehen. Vor allem soll es seinen großen Traum, den Traum aller Filmemacher, erfüllen: Unabhängig will er arbeiten, kein auf Gewinn schielender Studioboss soll ihm reinreden können. Sein Projekt ist nicht auf millionenschwere Produzenten angewiesen, um die Finanzierung zusammen zu bekommen. Auch nicht auf einen Filmverleih. Sein künftiges Publikum muss keinen Kinosaal mehr betreten, um ASOA zu sehen, sondern kann sich den Streifen über Internet-Tauschbörsen herunterladen. Matt Hanson will seinen Traum über Online-Netzwerke realisieren. Wenn sein Vorhaben gelingt, löst er nebenbei die oft haltlose Versprechung ein, dass das Internet die mächtigen Konzernkönige der analogen Welt stürzt und stattdessen die User auf den Thron setzt. Dann ist Matt Hanson der Totengräber der klassisch organisierten Filmbranche – und vielleicht der Bote einer neuen Bewegtbild-Ära, die Studiosystem und Zelluloid weit hinter sich lässt.
Der Konsument produziert
Produktionsfirmen überzeugen, Förderungen beantragen, langwierige Verhandlungen mit Sponsoren führen und sich kommerziellen Interessen beugen – diesen Teil des Filmemachens hat der 35-Jährige immer gehasst. Er ist angetreten, um die Zwänge der Branche zu umgehen, und das Internet soll ihm dabei helfen: „Die Idee ist, dass man Anteile an ASOA kauft,“ erklärt er. Für 25 Pfund, rund 37 Euro, können Interessierte eine Art Mitgliedschaft erwerben. Dann wird man Teil des Engelschwarms, wie Hanson seine Unterstützergemeinde nennt. 50.000 braucht er insgesamt, um mit dem Drehen beginnen zu können. Rund 800 Menschen haben sich bisher auf der Webseite www.aswarmofangels.com angemeldet. „Mit der Mitgliedschaft erwirbt man gleichzeitig das Recht, an der Entstehung des Films mitzuwirken“, führt Hanson aus. „Die Leute können beispielsweise am Script mitschreiben.“ Im Forum der Online-Plattform stimmen Mitglieder darüber ab, welche Vorschläge den Weg in das Projekt finden. Der umtriebige Brite will die „Sprache und Technologie des 21. Jahrhunders benutzen“, um dem Prozess des Filmemachens ein Update zu verpassen. Über Erfahrung mit digitalem Film verfügt Matt Hanson reichlich: Vor zehn Jahren gründete er das erste digitale Filmfestival onedotzero in London. Seit Mitte der 90er Jahre dreht er Kurzfilme, produziert Fernsehserien und schreibt Bücher über die Thematik. Eines trägt den Titel „Das Ende des Zelluloids“. Schon früh prophezeite er, dass das Internet und digitale Produktionsmittel auch die Kinolandschaft umkrempeln würden. ASOA ist nur die logische Konsequenz seiner Arbeit. All seine Ideen und Gedanken fließen in diesem Projekt zusammen.
Ein gerechtes Web 2.0?
Es findet sich viel Web 2.0 in ASOA. Der Begriff geistert seit einiger Zeit inflationär durch das Internet, Vorträge von IT-Managern und Feuilletons. Abzüglich des Hype drum herum ist die Entwicklung, die er meint, durchaus ernst zu nehmen: Der Netzbürger – und nicht Profi-Redakteure - gestaltet Webinhalte zunehmend selbst. Dienste wie Wikipedia, Youtube oder MySpace ziehen die Massen an, user generated content heißt das Zauberwort. Hansons Engelschwarm soll nach diesem Muster funktionieren, mit dem Unterschied, dass zur gängigen Web 2.0-Praxis die Engagierten – egal ob Scriptwriter oder Schauspieler – vergütet werden sollen.
Frei meint nicht kostenlos
Im Grunde macht Matt Hanson nichts anderes, als das Erfolgsrezept aus der Welt der freien Software in die Welt des Kinos zu kopieren: Freie Software – wie beispielsweise das Betriebssystem GNU/Linux - entsteht in losen, über das Internet vernetzten Gemeinden von freien Programmierern und kommerziellen Firmen. Hier gelten andere ökonomische und soziale Gesetze als bei proprietärer Software, etwa dem Betriebssystem Windows von Microsoft. Zum einen ist der „Bauplan“ der Software, der sogenannte Quellcode, für jeden offen zugänglich und darf verändert werden. Und anders als beim Microsoft-Modell ist die Software kostenlos erhältlich. Verdient wird nicht mit der Erhebung von Lizenzgebühren, sondern mit Service-Leistungen um die Software herum. Man könnte sagen, dass Hanson, indem er den Filmstoff zusammen mit seinen Engeln entwickelt, den Bauplan des Werks freigibt. Und genau wie freie Software unter speziellen Lizenzen steht, etwa der General Public Licence (GPL), die das freie Kopieren und Verändern des Code ausdrücklich festschreibt, so soll auch ASOA unter einer Creative-Commons-Lizenz freigegeben werden, das ist eine Art GPL für künstlerische Werke.
Programmierer-Träume
Auch Freie Software geht auf den großen Traum von der Unabhängigkeit zurück, geträumt von dem amerikanischen Informatiker Richard Stallman und dem Finnen Linus Torvalds. Stallman, ehemaliger MIT-Mitarbeiter und Hackerpionier der ersten Stunde, wollte die in den 70er Jahren einsetzende Entwicklung nicht akzeptieren, dass die Quellcodes von Software zunehmend proprietär und dem Zugriff der Benutzer entzogen wurden. Damals begriffen die IT-Firmen langsam, dass Software mehr als eine Art Benutzerhandbuch für Rechenmaschienen war, nämlich ein kommerzielles Gut. Stallman wehrte sich gegen die Privatisierung des Code und gründete das GNU-Projekt mit dem Ziel, ein freies Betriebssystem zu schaffen. Stallman wollte keine digitalen Geheimcodes, er wollte frei arbeiten. Sein System gedieh mit Hilfe zahlreicher Unterstützer. 1994 lieferte Informatikstudent Torvalds den letzten noch fehlenden Baustein, den Kernel, die zentrale Recheneinheit und Herz eines jeden Betriebssystems. Auch der Finne war leidenschaftlicher Programmierer. Er wünschte sich einfach ein System, das seinen Ansprüchen genügte. Und da es das nicht gab, initierte er mit den Werkzeugen aus dem GNU-Projekt das System, was heute unter dem namen Linux weltweit auf Millionen Webservern und privaten Rechnern läuft. Wenn Matt Hanson seinen Traum verwirklichen kann, wird er ein Bruder Stallmanns und Torvalds.
Mitbestimmung und Mythos
Wie die beiden schillernden Protagonisten der freien-Software-Szene lässt Hanson andere die Gestalt seines Traumes mitbestimmen – und genau wie die zwei Programmierer in ihrer Funktion als allgemein respektierte „gütige Diktatoren“ ihre Projekte maßgeblich steuern, so formt auch Matt Hanson seinen Engelschwarm nach seinen Vorstellungen. ASOA ist alles andere als basisdemokratisch organisiert. Was zur Abstimmung kommt, entscheiden Initiator Matt Hanson und eine Handvoll Vertrauter, die sich besonders um das Projekt verdient gemacht haben. Hansons künstlerische Vorstellungen bilden den Rahmen des Films. So schreibt er zur Zeit an zwei Drehbüchern, an „The Glitch“ und an „The Unfold“. Beim Schreiben holt er sich Rat und Ideen von Schwarm-Mitgliedern. Am Ende wird die Community abstimmen, welches Drehbuch in Produktion geht. Ein anderes Schwarm-Mitglied, ein Profi-Illustrator, hat die ASOA-Poster entworfen. Matt Hanson ließ abstimmen, welches die Schwarmmitglieder haben wollten – die Mehrheit entschied sich für das blaue Plakat. Nach diesem Muster arbeitet auch die freie Software Community: Jeder darf Code beisteuern – welche Codeschnipsel in die offizielle Endversion kommt, entscheidet letztlich eine kleine Gruppe um die Projektspitze. Hanson weiß um den undemokratischen Charakter seines Systems. „Die Möglichkeit einer Meuterei gibt es nicht“, sagt er. Ein so komplexes Projekt wie ein Film brauche eine Gemeinschaft vertrauenswürdiger Stimmen, um dem Chaos einer viralen Kakophonie zu entgehen.
Ein meritokratisches System
So hat er sich ein fein ausgeklügeltes hierarchisches System für seinen Engelsschwarm ausgedacht, das den Namen „The Nine Orders“ trägt. Innehalb des Schwarms gibt es drei Ebenen, in denen verschiedene Rechte, Pflichten und Machtbefugnisse gelten. Einfache Schwarmmitglieder, die Engel, können sich durch Engagement zu Erzengeln oder sogar Cherubs hocharbeiten und damit ihrer Stimme innherhalb der Community Gewicht verleihen. Rund 10 Prozent aller Mitglieder beteilige sich aktiv am Projekt, schätzt Hanson. Politikwissenschaftler nennen so etwas ein meritokratisches System: Wer was kann, darf herrschen. Dieses Prinzip ist leicht anwendbar bei Programmierern. Entweder, der Code funktioniert, oder eben nicht. In ästhetischen Fragen aber gibt es kein klares richtig oder falsch. „An dem Punkt greift meine künstlerische Vision als Filmemacher,“ sagt Hanson. „Ich weiß genau, was ich will. Aber ich vertraue auch der Community, dass sie mir helfen, den Film besser zu machen.“ ASOA bleibt sein Projekt. „Dieser Prozess gibt dem Filmemacher mehr Raum, als das in den gegenwärtigen klassischen Strukturen der Filmbranche möglich ist“, hofft er. Das Ganze sei ein künstlerisches Experiment. „Ich muss nicht den Wünschen des Marktes gehorchen – sondern kann meine eigenen Vorstellungen und die der Community umsetzen.“
Vertrauen ist die Währung, auf die es ankommt
Noch steckt das Projekt in einer Frühphase. Der Mann, der das Kino revolutionieren will, sitzt im beschaulichen englischen Seebad Brighton und tüftelt zusammen mit den ersten Freiwilligen an den Drehbüchern. Enthusiasten will er via Internet um sich versammeln. Diverse Filmprofis haben die 25 Pfund schon überwiesen. Auch die eine oder andere Netzpersönlichkeiten wie etwa Cory Doctorow, ein prominenter Science Fiction Autor und Netzbügerrechtler, zählt zu seinen Engeln. Bevor ASOA den Massen geöffnet wird, will Hanson aber erst ein transparentes Finanzverwaltungssystem installieren. Alle sollen nachvollziehen können, wie die Gelder ausgegeben werden, verspricht er. Hanson weiß, dass ASOA nur gedeiht, wenn die virtuelle Gemeinde ihm vertraut. Manchmal frage er sich schon, ob er den Herausforderungen dieses Projektes gewachsen ist. Und ob alles gut durchdacht ist. Er brennt für diese Idee, er ist irgendwann einfach online gegangen, quasi im Beta-Stadium – und damit in bester Web 2.0-Manier.
Hanson ist nicht der erste, der einen Film mithilfe von Online-Netzwerken realisiert. Im Sommer 2006 machte die 120.000 Euro teure Produktion „Elephants Dream“ Schlagzeilen. Die zehnminütige Animation wurde zu einem Viertel über DVD-Vorverkäufe finanziert. Ein halbes Jahr, bevor mit den Arbeiten zu dem Kurzfilm überhaupt begonnen wurde, waren genug Menschen dem Aufruf auf der projekteigenen Homepage gefolgt und hatten die Scheibe geordert. Innerhalb weniger Monate fand das Filmchen über eine halbe Million Zuschauer im Netz. Die Macher von Elephants Dream haben haben übrigens ausschließlich mit freier Software gearbeitet.
Entry Filed under: Creative Commons, Freie Software, Netzkultur, Urheberrecht
1 Comment Add your own
1. The Waving Cat » Bl&hellip | January 5th, 2007 at 5:05 pm
Deprecated: preg_replace(): The /e modifier is deprecated, use preg_replace_callback instead in /www/htdocs/w00748bc/wp-includes/formatting.php on line 82
[…] Community-based, super-collaborative film project A Swarm of Angels is picking up speed. By now, it’s even slowly getting some credit in German media. Meike Richter just wrote a nice piece for zeit.zuender. […]
Leave a Comment
Some HTML allowed:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <code> <em> <i> <strike> <strong>
Trackback this post | Subscribe to the comments via RSS Feed